Es ist Sonntag Nachmittag. Ich sitze mit einer Tasse Kaffee auf dem Sofa. Ein letzter Schluck und ich stehe auf. Samu möchte direkt hinterher. Denn er hat kombiniert so ähnlich läuft es hier immer ab, wenn der Spaziergang kurz bevor steht. Und da muss er mit, ist doch klar. Doch auch wenn das natürlich tolle Aussichten sind, heißt es erst mal Ruhe bewahren und abwarten und mir eben nicht auf Schritt und Tritt zu folgen bis es dann wirklich soweit ist. Als wir dann endlich startklar sind und wir die Haustür öffnen, fängt Samu´s Nase an sich raus zu arbeiten und auch seine Ohren lassen vermuten, dass da draussen irgendetwas spannendes sein muss, das Samu´s Interesse geweckt hat. Aber auch hier muss er sich zurücknehmen können und mit mir geordnet nach draussen laufen. Wir schlendern also zum Auto und ich öffne den Kofferraum. Just in diesem Moment rennt ein Nachbarsjunge an unserer Einfahrt vorbei. Könnte das etwa eine Einladung sein mit zu rennen? Könnte es aber solchen Einladungen folgen wir nicht. Wir spulen nun ein bisschen vor, denn während der Autofahrt passiert nichts wesentliches. Jetzt sind wir also mitten in der Natur, da wo sich Katz und Maus begegnen. Zwei Feldhasen kreuzen unseren Weg. Das Leben ist echt langweilig, denn auch diesem attraktiven Reiz darf Samu nicht hinterher. In der Ferne sehen wir ein Pärchen das in wenigen Minuten wohl bei uns sein wird. Als es wirklich so weit ist, schaut der Mann Samu in die Augen und lockt ihn zu sich, mit einem Schnalzgeräusch. Naja er versucht es zu mindestens. Ich möchte kurz erwähnen, dass Samu mittlerweile an der Leine ist. Über die Sinnhaftigkeit dieser Situation möchte ich gar nicht diskutieren. Aber ich möchte sie als Beispiel nutzen um darauf hinzuweisen, dass wir als Hundehalter immer wieder in Situationen kommen die uns irgendwie nicht ganz nachvollziehbar erscheinen und wir halt trotzdem führen müssen. So auch in diesem Fall. Körpersprachlich kommuniziere ich Samu das er bei mir bleiben soll. Der Mann wendet sich ab. 100 Meter weiter spielen 2 Jungs auf der Wiese Fussball und es kommt wie es kommen muss, der Ball rollt in unsere Richtung. Doch auch hier kann Samu nicht mal eben entscheiden, als Außenstürmer Teil des Spiels zu sein. Wir laufen weiter. Ein anderes Mensch-Hund-Team kommt uns entgegen. Die Menschen begrüßen sich, man läuft aber aneinander vorbei. Ja, ohne das die Hunde „snüffi snüffi“ machen. Denn das gibt es bei mir an der Leine eh nicht. Jeder läuft also seinen Weg.
Das sind alles Situationen die uns so oder so ähnlich schon öfters passiert sind. Nicht alle an einem Tag. Sondern mal passiert dies und mal passiert das. Ich möchte damit allerdings verdeutlichen, dass unsere Hunde jeden einzelnen Tag mit attraktiven Reizen konfrontiert werden. Und wir auf der anderen Seite stehen und nicht wollen, dass die ganzen Reize das Zentrum der Macht sind und der Hund diesen einfach folgt und uns in diesen Momenten völlig vergessen zu scheint. Wir müssen unseren Hunden also vermitteln wie sie mit diesen Reizen umgehen sollen. Denn es gibt nun mal Regeln im Zusammenleben. Und wir als Hundehalter sind nun mal in der Pflicht für Sicherheit zu sorgen, für uns, unseren Hund und auch für die Umwelt. Niemand möchte morgen mit einer ausgekugelten Schulter im Krankenhaus liegen. Keiner möchte, dass sein Hund im Flow dem Hasen über die Hauptstrasse hinter her rennt. Und auch möchten wir nicht, dass unser Hund dem Nachbarsjungen hinter her hetzt und ihn bedrängt. Wenn ich meinem Hund nicht lerne wie er die verschiedenen Reize beantworten soll, ist die Konsequenz, dass er es auf seine Weise tut. So trifft also der Hund die Entscheidungen, obgleich die Verantwortung beim Menschen bleibt.
Hundehalter gehen ganz unterschiedlich vor, wenn sie ihren Hunden diese Impulskontrolle vermitteln wollen. Viele Wege führen nach Rom. Ich möchte hier nicht vermitteln, dass es nur den einen Weg gibt seinem Hund zu vermitteln wie er auf die im Alltag auftretenden Reize reagieren soll. Mitnichten. Ich möchte vielmehr auf ein paar Punkte hinweisen die mir persönlich wichtig erscheinen, wenn man sich ein paar verschiedenen Vorgehensweisen im Zusammenhang mit der Impulskontrolle anschaut.
Relativ viele Hundehalter üben Impulskontrolle mit dem Ball. Sie werfen einen Ball und der Hund darf erst hinterher wenn sie das Freizeichen geben. Oder sie kicken den Ball und der Hund darf auch dann erst hin wenn sie es zu lassen. Was lernt der Hund? Keinem Ball hinterherzugehen, den sein Hundehalter wirft. Wenn jetzt jemand anders wirft, mehrere Bälle in der Gegend rum fliegen oder die Fußballer auf dem Platz kicken, dann ist das eine komplett andere Situation und muss meistens ebenfalls besprochen werden. Klar mit der Vorerfahrung können die nachfolgenden Ballthemen eventuell einfacher und schneller besprochen werden. Die wenigsten Hunde übertragen aber ein einziges Ball-Learning auf alle Situationen die in irgendeiner Form mit Ball geschweige den mit Bewegungsreizen zu tun haben. Ja, ich weiß jeder Hund ist anders. Trotzdem ist es nicht so, dass wenn wir einem Hund beibringen dem geworfenen Ball nicht hinterherzurennen, dass er sich dann automatisch auch bei Fußbällen, Frisbee, Tischtennis etc. rausnimmt. Und eben auch nicht automatisch beim Jogger, beim Hase und beim anderen Hund. Die Frage ist halt auch ob der Ball für den Hund wirklich ein attraktiver Reiz darstellt? Oder bei welchen Reizen sich der Hund am schwersten tut und wie diese beantwortet werden. An meiner Eingangsgeschichte sieht man sehr gut, dass der Ball ein möglicher Reiz sein kann, den man absolut auch üben kann. Aber gleichzeitig geht auch schön hervor, dass es eben einer von unglaublich vielen unterschiedlichen Reizen ist. Und das es allein in einer Spaziergangseinheit viele Situationen gibt mit seinem Hund zu besprechen wie er auf Reize antworten soll. Klar ist, wenn ich es schaffe, dass mein Hund dem geworfenen Ball nur dann hinterherrennt, wenn ich ihm die Erlaubnis gebe, dann schaffe ich das vermutlich auch bei anderen Bewegungsreizen. Auf der anderen Seite lernt ein Hund aber sehr schnell, dass diese Übung mit dem Ball immer nach dem ähnlichen Muster abläuft. Und er weiß wie er sich verhalten muss um zum Erfolg zu kommen. Im wahren Leben können Dinge in ähnlichem Kontext auftreten aber auch mal völlig überraschend passieren. Zack da ist plötzlich der Ball, ohne sich vorher angekündigt zu haben. Deshalb finde ich persönlich wichtig, Impulskontrolle vielfältig zu üben. Wie habe ich das mit Samu in Sachen Ball gehandhabt? Wenn uns das Thema Ball im Alltag begegnet ist, wurde es besprochen. Ich setze es bei meinem Hund aber nicht als regelmäßige Übung zur Impulskontrolle ein. Vor ein paar Wochen habe ich mal überprüft wie Samu auf den Ball reagiert. Das war´s. Aktuell gibt es da aus meiner Sicht nichts mit Samu zu besprechen. Für mich persönlich gibt es genügend natürlich vorkommende Reize im Alltag die ich dann im Hier und Jetzt aufgreife.
Manche Hundehalter gehen Stück für Stück vor. Sie gehen weit, weit weg von dem Reiz, der ihrem Hund so interessant erscheint oder ihnen Schwierigkeiten in der Erziehung bereitet. Und dann belohnen sie ihren Hund, solange der Hund sich angenehm verhält. Die Frage ist nur was der Hund in dem Moment der Belohnung im Kopf hat. Hat er den Reiz überhaupt in irgendeiner Form wahrgenommen? Und was passiert, wenn der Hund auf den Reiz reagiert und zwar so wie wir es uns nicht vorstellen - wenn auch noch in abgeschwächter Form, weil die Distanz noch gross ist? Mancher Hundehalter denkt er könnte hier auf jegliche Korrektur verzichten. Das Problem ist eben nur, wenn ich nur ja sage aber kein nein ausspreche, gebe ich dem Hund wieder keinen Rahmen. Er bekommt vermittelt, dass bestimmte Verhaltensweisen wahnsinnig toll zu sein scheinen, weil sie über die Maßen gelobt werden und andere Verhaltensweisen schon auch ganz okay sind, da sie ja nicht groß kommentiert werden. In solchen Fällen ist dieser Lernprozess meist eine never ending story. Denn hier fehlt die Klarheit. Der ein oder andere Hund steht verwirrt im Wald und schaut seinen Mensch an als wollte er sagen: Was willst du eigentlich von mir? Je nach Thema und je nach Hund kann dieses schrittweise Vorgehen ein Weg sein, jedoch ist es wichtig sehr wachsam zu sein auch hier seinem Hund sehr klar zu kommunizieren welches Verhalten gewünscht und welches unerwünscht ist. Letztlich einfach auch um fair zu bleiben. Trotzdem bleibt die Frage wie weit sich das im normalen Alltag steuern lässt. An meiner obigen Story geht hervor, das das Leben einfach passiert. Nicht immer lässt sich eine Reizdosis steuern, manchmal ist der Reiz plötzlich da, wenn sich die Haustür öffnet.
Es gibt Hundehalter die lenken ihren Hund von den auftretenden Reizen ab. Wenn zum Beispiel ein anderer Hund in der Ferne gesichtet wird, werden schnell Leckerlis aus der Hosentasche gezaubert, es fliegt ein Ball oder es wird ein Apportierbeutel mit Futter geworfen. Manch Hundehalter ist auch mit dem Ergebnis zufrieden. Persönlich halte ich von der Vorgehensweise nicht viel. Und zwar aus 2 Gründen. Zum einen lernt der Hund so überhaupt nicht mit dem Reiz adäquat umzugehen. Und zum zweiten mache ich mich halt irgendwie abhängig von diesen Ablenkungsdingern. Dabei möchte ich doch meinem Hund vermitteln, wie er mit diesem oder jenen Reiz umgehen soll. Und ein Hund muss auch lernen auszuhalten. Und damit meine ich sowohl dem Reiz nicht nachzugeben als auch möglichen Frust auszuhalten, der sich in Folge beim Hund entwickeln kann. Diese Vorgehensweise passt einfach nicht zu mir und ist auch nicht die Art wie ich Gespräche führe. Ich erinnere mich da immer an ein Konfliktgespräch in meiner Vergangenheit nach dem mir die involvierte Person eine Tafel Schokolade angeboten hat und ich nur dachte: He was ist das denn? Halt doch einfach mal aus! Ja auch wenn es nicht angenehm ist, aber das gehört doch zum Leben dazu.
Einige Hundehalter nutzen auch einfach den Alltag in ihrem Leben um ihrem Hund zu vermitteln, wie er mit bestimmten Reizen umgehen soll. Das ist auch meine Art mit diesem Thema umzugehen. Denn allein an einem einzelnen Tag gibt es so viele Reize die mein Hund als attraktiv einordnet und die ich mit ihm besprechen kann. Das heißt ich habe meinen Hund einfach im Blick. Wenn ich bei bestimmten Situationen merke, dass mein Hund Schwierigkeiten hat, kann es sein das ich solche Situationen öfters aufsuche oder auch mal stelle und gewisse Dinge provoziere. Und ja hier und da baue ich auch mal eine kurze Übung ein. Ich persönlich lege den Fokus aber auf den normalen Alltag und baue ggf. Übungen ein, nicht umgekehrt. Der ist mir deshalb so wichtig, weil mir immer wieder Hundehalter davon berichten, dass sie doch so fleißig „Übungen zur Impulskontrolle machen“ wie z.B. mit dem Ball, aber ihr Hund eben dennoch sehr interessiert an all den möglichen Reizen im Alltag scheint (z.B. Jogger, Radfahrer, andere Hunde….) Auch hier ist es für mich wichtig, dass ich eine Atmosphäre schaffe, in der mein Hund bestmöglich lernen kann - ich ihn also nicht überfordere. Ich finde Dinge müssen definitiv besprochen werden. Vor allem eben wenn mein Hund den Reiz noch nicht so beantwortet wie ich es mir vorstelle. Dabei achte ich pingelig genau darauf, ob ich mit meiner Art zu kommunizieren auch das bewirke was ich im Kopf habe. Denn auch das gehört zum Leben dazu: Meine Kommunikation immer wieder zu reflektieren und anzupassen.....